Jahrestagung dvs-Sektion Sportsoziologie 2024

Sportsoziologie als Krisenwissenschaft

Die Krisensemantik stellt einen Leitbegriff – wenn nicht das Paradigma schlechthin – zur Beschreibung der heutigen Zeit dar. Ob „Flüchtlingskrise“, „Coronakrise“, „Klimakrise“, „Krise der Demokratie“ oder „Russlandkrise“ – im Zustand der Krise wird vieles unsicher. Sicher scheint nur: Es kann alle treffen.

Der Sport ist mit Krisen derweilen immer schon vertraut. Bereits in seinen Ursprüngen fungiert er als Sozialbereich, der die Kollateralschäden der modernen Gesellschaft durch seine vielfältigen Gesundheits-, Spaß-, Spiel-, Abenteuer- und Lebendigkeitsofferten gezielt kontert und dadurch auf paradoxe Weise seinerseits anfällig für Krisen wird. Im Kontext der „Corona-Gesellschaft“ sind dem Sport gerade seine Besonderheiten zur Achillesferse geworden. Nicht nur weil gesellige Zusammenkünfte von Menschen im Sport nunmehr als Risiko galten, sondern auch weil der Sport als nicht „systemrelevant“ eingestuft wurde, fiel er dem virologisch dominierten Krisenmanagement über weite Strecken zum Opfer.

Die Gesellschaft hält seit langem eine gute Antwort auf Krisen parat: Soziologie. Soziologische Reflexion hat in Zeiten der Krise auch die Aufgabe, sich gegen die Turbulenzen der öffentlichen Krisenkommunikation zu immunisieren und mit kühlem Blick die Paradoxien, nicht-intendierten Folgen und selbsterfüllenden Prophezeiungen vorschneller Deutungs- und Bewältigungsversuche offenzulegen. Denn wenn die Problemlösung an der einen Stelle Probleme an anderen Stellen erzeugt, droht womöglich schon bald: die nächste Krise.

Die Tagung verfolgt das Ziel, die vielfältigen Zusammenhänge von Sport und Krise freizulegen und die Rolle der Sportsoziologie auf dieser Basis zu erörtern. Im Sport schlagen sich zum einen gesamtgesellschaftliche Krisendiskurse nieder. Zum anderen erzeugt der Sport in seiner Systemlogik fortwährend hausgemachte Krisen. Es gilt den Beitrag zu erkunden, den der Sport zur gesellschaftlichen Krisenbewältigung leisten kann, aber auch der Frage nachzugehen, inwiefern er selbst als Krisenerzeuger der modernen Gesellschaft in Erscheinung tritt und erst recht auf soziologische Diagnosen angewiesen ist.

Die Aufmerksamkeit der Tagung kann u.a. folgenden Themen gelten

Darüber hinaus sind weitere Themenvorschläge in der Schnittmenge von Sport und Krise willkommen.

  • Sport und „Flüchtlingskrise“
  • Sport und Coronakrise
  • Ökologische Krise und Sport
  • Krise der Demokratie im Sport
  • Sport und Krieg
  • Doping und Dopingprävention im Spitzensport
  • Wettbewerbsabsprachen und Spielmanipulation
  • Korruption in Sportorganisationen
  • Transgeschlechtlichkeit und Kategorisierungskrisen des Sports
  • Krise des modernen Leistungsprinzips
  • Depression im Sport
  • Sexualisierte Gewalt im Sport
  • Präsentismus und Verletzungsbiografien im Sport
  • Diskriminierung im Sport
  • Sport und Karriereende
  • Bewegungsmangel und Adipositas
  • Krise des Ehrenamts im Sport
  • Mitgliederschwund in Sportorganisationen
  • „E-Sport“?
  • Sportsoziologie als Krisenerzeuger
  • Sportsoziologie als Krisenwissenschaft
  • Kritische Ereignisse in Karrieren von Sportsoziolog:innen